Zwei Mädchen wollen hoch hinaus: Johanna und Jule haben mit der Ausbildung zum Segelflugschein begonnen. Die WESTFALENPOST wird sie dabei begleiten.
In der Luft gleiten sie so still und klein über die Wiesen, Wälder und Häuser rund um Menden, fliegen Kurven und Schleifen. Am Boden wirken Segelflugzeuge imposant.Johanna wohnt bloß 200 Meter vom Flugplatz in Barge entfernt, mit sechs saß sie zum ersten Mal während eines Gastflugs hinten im Cockpit. Adrenalin, ein flauer Magen, die atemberaubende Aussicht, nur die durchsichtige Haube über ihrem Kopf trennt sie vom Himmel, ihr enger Sitz, ringsherum Vögel und Wolken ab diesem Tag wollte sie selbst mal vorn sitzen und das Flugzeug steuern. Gemeinsam mit ihrer Freundin Jule aus Oesbern meldete sie sich im September vergangenen Jahres für den Segelflugschein am Flugplatz in Barge an.
Die beiden besuchen die neunte Klasse des Walburgisgymnasiums in Menden. Trotz Schulstress, überladenen Kalendern mit Leichtathletik- und Volleyballtraining, mit Klavierstunden, verbringen sie fast jedes Wochenende in der Saison auf dem Flugplatz.
Wir sind wie eine kleine Familie, ich habe mich direkt wohlgefühlt, erzählt Johanna über die anderen Segelflieger. Zurzeit fliegen die beiden nur Platzflüge, die nicht länger als fünf Minuten dauern: Starten, ein paar Kreise drehen und wieder landen.
Doch Johanna und Jule fiebern ihrem ersten Freiflug entgegen: Sie wollen alleine fliegen, um ihrem Segelflugschein wieder ein Stückchen näher zu kommen. Der erste Flug allein knüpft aber auch an ein skurriles Ritual in der Fliegerszene: Jeder Jungfernflug wird mit einem Strauch Disteln und Po-Klapsen von den Vereinsmitgliedern verbunden. Diese Tradition soll den Po für das Steigen und Sinken des Flugzeugs und die von Disteln gepiksten Hände für die Ruder sensibilisieren.
Der Segelflugschein dauert zwei bis drei Jahre und setzt sich aus drei Ausbildungsetappen zusammen. Zunächst lernen die Mädchen die Grundlagen, heben 50- bis 70-mal ab, führen ihrem Fluglehrer beispielsweise Höhenruderübungen vor. Knüppel nach vorne, Nase nach unten, Knüppel nach hinten oder doch andersherum? Johanna lacht, die genauen Griffe ergeben sich vielleicht auch am besten während des Fliegens intuitiv. Trotzdem gehört auch Theorie zur Ausbildung.
Im Winter treffen sich die Schüler einmal in der Woche im Walramgymnasium. Sie belegen Fächer wie Luftrecht, Navigation, Meteorologie, Aerodynamik und Technik. Ohne Theorie geht es beim Segelfliegen nicht.
Am Ende schreiben sie eine theoretische Prüfung in Münster, die praktische Prüfung findet auf dem Flugplatz in Barge statt. Ein Prüfer wird Johanna und Jule dann während drei Platzflügen bei Manövern wie Schnellflug oder Kurvenwechsel beobachten.
Wer denkt, dass Segelflug ein einseitiges Hobby ist, der irrt: Die Truppe aus Barge trainiert sogar einmal die Woche für das alljährliche Fußballturnier zwischen den Flugplätzen. Zwischen Lagerfeuer und Partys begeben sich die Mitglieder auch mal ins Wasser statt in die Luft und fahren Kanu.
Am Samstag war für viele Saisonstart Anfliegen. Nach dem Frühstück, die Männer tischten sogar Rührei auf, bereitet die Gruppe alles für den ersten Start vor. Alle haben Lust, die Welt mal wieder von oben zu sehen.
Jule erzählt von ihrem letzten Flug im November. Mit Fallschirm auf dem Rücken steigt sie in das enge Cockpit, das Kunststoff-Seil wird eingeklinkt, zieht sie mit etwa 100 Stundenkilometern abrupt und holpernd über die asphaltierte Bahn, das Flugzeug hebt ab und fliegt steil.
Oben ausgeklinkt, beginnt die Suche nach guter Thermik, die das Flugzeug länger und höher gleiten lässt. Die Sonne rutscht langsam hinter den Berg. Den Sonnenuntergang von oben zu sehen, war großartig, schwärmt Jule.
Quelle: Caroline Weische – Westfalenpost Menden
http://www.derwesten.de/staedte/menden/wolkenritt-distel-und-po-klaps-id6540531.html